Interessanter Text zu Moby Dick

Niels Werber

                   Die ewige Jagd auf den weißen Wal
                   Hobbes, Melville, Schmitt und die RAF - Zur Geschichte
                   eines politischen Symbols
                   ...und so begann Niels alle seine Geschichten mit einer Apologie des
                   Walfisches.(Heinrich Heine: Die Götter im Exil)
                   Ein Freund, dessen Moby Dick-Seminar voller begeisterter Studenten war,
                   meinte so überzeugend, dies sei eben tatsächlich ein wirklich interessanter
                   Roman, dass ich mich in die Buchhandlung begab, um gegen Zahlung von nur
                   DM 3,30 eine Penguin Popular Classics-Ausgabe des Textes zu erwerben.
                   Ein guter Kauf: der Roman, den alle kennen und den kaum jemand - nimmt
                   man die verstümmelten Nacherzählungen oder Jugendausgaben gleichen
                   Namens aus - gelesen hat, kann gewiss nur als großartig, welthaltig und
                   ungemein spannend bezeichnet werden. Da ich aber, da dieser Tag
                   anscheinend unter dem Sternbild des Wals stand, zugleich auch eine
                   Reclam-Ausgabe des Leviathan von Hobbes (14,- DM) erstand, ergab sich
                   eine besondere Konstellation bei der Lektüre. Schon als ich
                   gewohnheitsmäßig die Ersterscheinungsdaten der beiden Texte nachschlug,
                   um sie auf einer Karteikarte einzutragen, stellte sich der Eindruck eines
                   merkwürdigen Zusammenhanges her: 1851, vor 150 Jahren, erscheint Herman
                   Melvilles Moby Dick; Or, The Whale. Gleich auf den ersten Seiten, wo ein
                   fiktiver und doch genauer Subsublibrarian sein Wissen über Wale ausbreiten
                   darf, wird der Leviathan herbeizitiert, das biblische Ungeheuer und Sinnbild
                   höchster diesseitiger Macht. Der Leviathan des Thomas Hobbes, der die
                   gleichen Bücher der Bibel bemüht wie Melville: "Hiob" und "Jona", wurde
                   1651, genau zweihundert Jahre zuvor zuerst publiziert. Ein Zufall?
                   Unter dem Zeichen des Leviathans beschreibt Hobbes den Staat als jene
                   höchste irdische Gewalt, die dem Krieg aller gegen alle ein Ende macht, in
                   seinem Inneren Ruhe, Sicherheit und Ordnung herstellt und darüber wacht,
                   dass Verträge eingehalten werden. Dieser Status ist in seinem Inneren
                   gefährdet durch Parteiungen und Bürgerkrieg und von außen durch
                   kriegerische Nachbarn. Hobbes führt seine Metapher weit aus: Nerven
                   (Ministerialbürokratie) und Muskeln (Armee) hat der Staat, Augen (Spione)
                   und Blutkreislauf (Geld) usw. Dieser Staatskörper kann folglich innerlich
                   erkranken, "Geschwulst und Beulen" ausbilden, "schädliche Säfte"
                   produzieren oder an "Fallsucht" und "Fieber" leiden, ja er kann "sterben" -
                   oder der Leviathan wird durch "Kriegsglück" bekämpft, erlegt und zerlegt, so
                   dass alles, bei Melville zum Beispiel das geteilte Polen, den Siegern zufällt.
                   Ist er auch die größte Macht auf Erden, ja ein "sterblicher Gott", so wird er
                   doch von Bedrohungen umgeben, die sein "Ende" bewirken können, sollte er
                   sich ihrer nicht erwehren können. Der Leviathan schwimmt also in "lawless
                   seas".
                   Der Erzähler Ishmael kennt die Physiologie, die Krankheiten, die Todesarten
                   des Wals genau, denn nur so verspricht die Waljagd einen Erfolg. Der Wal ist
                   für ihn immer schon mehr als ein schwer zu erbeutendes, wertvolles
                   Handelsgut. In seinem Kapitel über "Fast-Fish and Loose-Fish" wird die
                   politische Dimension besonders deutlich. Hier wird erläutert, wem ein erlegter
                   Wal gehöre, nämlich jener Partei, die mit Harpune und Leine am Wal befestigt
                   ist. Ein treibender Wal ("loose") dagegen "is fair game for anybody who can
                   soonest catch him." Ishmael deutet diese Besitzrechte so, dass jener Partei
                   ("party") der Wal gehöre, die ihr Recht auch durchzusetzen vermag. Dies
                   geschieht entweder durch Gewalt, wie im Naturzustand, oder vor Gericht,
                   wenn eine staatliche Gewalt die Entscheidung fällt und ihre Untertanen den
                   Spruch akzeptieren, etwa wenn beide Parteien englische Untertanen sind.
                   "Yet the American fishermen have been their own legislators and lawyers",
                   welches britische Gericht sollte sie zwingen? Wenn eine wirkliche Macht von
                   einem Wal Besitz ergreift, wird man sie schlecht davon trennen können, denn
                   das Recht folgt der Macht. "Possession is half the law: that is, regardless of
                   the how the thing came into possession? But often is possession whole of the
                   law." Auf die Frage, quis judicabit, wer entscheidet, antworten Hobbes und
                   Melville mit einer Stimme: die "höchste Gewalt vermöge ihrer großen Macht".
                   Melville nennt die Teilung Polens und die Eroberung Amerikas und Indiens,
                   Irlands und Mexikos als Beispiele für "Loose-Fish", die stärkere Mächte wie
                   Russland, Großbritannien oder die USA sich gleichgültig um natürliches und
                   positives Recht angeeignet haben. Das Recht wird von ihnen eben so
                   ausgelegt, dass die Landnamen als rechtmäßig gelten. Wo ist die Gewalt auf
                   Erden, die über jene Mächte entscheiden wollte? Ishmael zählt in einer Zeit,
                   in der die USA ihr Territorium und ihre Einflusszonen in alle
                   Himmelsrichtungen ausdehnen, das Hobbes'sche "auctoritas non veritas facit
                   legem" nüchtern zu den "fundamentals of all human jurisprudence" und
                   konstatiert abschließend: "What are the Rights of Man and the Liberties of
                   the World but Loose-Fish?" Ishmaels politische Theorie des Rechts folgt ganz
                   und gar den Ausführungen des Leviathan.
                   Der Staat beendet in seinem Inneren den bellum omnium contra omnes und
                   beginnt ihn gegen seinesgleichen, wenn es "vorteilhaft" ist. Die souveränen
                   Leviathane schwimmen in den "lawless seas" des Naturzustandes, da keine
                   Gewalt über ihnen steht, um für sie zu entscheiden. "All those creatures",
                   erläutert Melville, "prey upon each other, carrying on eternal war since the
                   world began." Wohlorganisierte, hochgerüstete Mächte stehen hier "in
                   ständiger Feindschaft". Captain Ahabs Walfänger ist nur eine der Mächte, die
                   sich an diesem Kampf beteiligt. Zweifellos ist es reizvoll wie ergiebig, Moby
                   Dick als Kommentar der politischen Theorie Hobbes zu lesen.
                   Aber wir haben längst nicht alle Fixpunkte unserer Konstellation benannt:
                   1938 behauptet Carl Schmitt in einer Monographie, die den Titel Der Leviathan
                   in der Staatslehre des Thomas Hobbes trägt und mithin eine Gabe zu dessen
                   350. Geburtstag darstellt, dass die politische Philosophie zumal des 19.
                   Jahrhunderts sich "zum Fang des großen Wals" verbündet und ihn "erlegt und
                   ausgeweidet" habe. Seine etymologischen und mythologischen
                   Spekulationen, etwa zur Symbolik von Wal und Elefant, folgen Melville, ohne
                   ihn namentlich zu nennen. Schmitt erwähnt auch jene "chaldäischen Magier",
                   die "den Leviathan zitieren können" - genau wie jener geheimnisvolle Perser
                   Fedallah an Bord der Pequod, der nicht nur wie ein Chaldäer die Sonne
                   anbetet, sondern auch Moby Dick herbeizubeschwören scheint.
                   Zu einem Doppeljubiläum, Hobbes 400. und Schmitts 100. Geburtstag, nennt
                   wieder ein Roman den "Staat" eine "Ungeheuerlichkeit" und lässt ein Schiff in
                   See stechen zur Jagd auf den "warmblütigen Walfisch". Die Besatzung
                   dieses Schiffs führt die Namen aus Melvilles Roman: Ahab, Starbuck, Smutje,
                   Queequeg, Pip, Bildad, alle Leser Melvilles: die Terroristen der RAF, hatten
                   sich diese Decknamen zugelegt, weil auch sie dem Leviathan einen Kampf
                   auf Leben und Tod angesagt hatten. Den Höhepunkt ihrer Jagd und ihren
                   Untergang hat Rainald Goetz 1988 in Kontrolliert erzählt. - Das Schiff mit dem
                   roten Stern und dem Totenkopf nehme zur Not auch eine "Silberflotte",
                   schreibt Goetz; der Walfänger habe Schluss gemacht mit dem "colonial
                   intercourse" zwischen Spanien und Südamerika, ja er habe die "liberation of
                   Peru, Chili, and Bolivia from the yoke of Old Spain" bewirkt, schreibt Melville.
                   Gewiss, man kann jede "Ziffernkonstruktion in sich zusammen stürzen"
                   lassen, so Goetz, aber wir nehmen die Konstellation ja nur zum Anlass einer
                   Parallellektüre. Ein Roman, der anhand der Begriffe Freund und Feind,
                   Ausnahmezustand und Entscheidung über den Staat schreibt und die Feinde
                   des Staates im Segelschiff den Leviathan jagen lässt, darf wohl in einen
                   Kontext mit Hobbes, Melville und Schmitt gerückt werden. Das Symbol des
                   Walfischs taucht geradezu notorisch in diesem Kontext auf: Kleist spricht
                   vom Wal in seiner Hermannsschlacht , dem Drama vom totalen Krieg der
                   Germanen und Römer. Kant kommt im "Ewigen Frieden" vom Walfisch
                   unmittelbar auf den Krieg zu sprechen. Herder nennt 1788 die
                   Eroberungskriege der skandinavischen Reiche gegeneinander einen
                   "Walfischfang". Und in Raabes Roman Hungerpastor, der vom "Krieg aller
                   gegen alle" erzählt, wird ausgerechnet ein "Leutnant Götz" mit einem
                   "Walfisch" verglichen.
                   Der Leviathan, der bei Hobbes ein Symbol der höchsten politischen Gewalt
                   darstellt, die durch ihre "furchtbare" Machtfülle den Krieg des Naturzustandes
                   beendet und für Ruhe, Sicherheit und Ordnung sorgt, wird selbst permanent
                   herausgefordert: von äußeren oder inneren Feinden. Heine berichtet von
                   Parasiten, die den lebendigen Wal von innen zerfressen. Wenn Melville einen
                   Walfänger zum Feind des Meerungeheuers einsetzt, führt auch er die
                   Hobbes'sche Metaphorik nur konsequent fort. Ishmael nennt den Wal einen
                   "royal fish" und bezeichnet "Whaling" als "imperial". Zur dieser bei Melville
                   kurrenten politischen Dimension tritt eine metaphysische hinzu, die Schmitt
                   besonders am "Leviathan" interessiert hat, weil er den Staat für mehr hält als
                   die effiziente Organisation eines Funktionssystems zur Erzeugung kollektiv
                   bindender Entscheidungen.
                   Auch die wahrlich gut organisierte Pequod ist für Captain Ahab mehr als nur
                   ein Instrument und der Walfang mehr als ein gutes Geschäft, dessen Erfolg
                   rein technisch sicherzustellen ist mit guter Ausrüstung und guter Mannschaft
                   und - für den Notfall - guter Versicherung. Ahab segelt nicht nur für die
                   shareholder von Schiff und Fracht, sondern schwört seine Crew auf die Jagd
                   auf das "mortal monster", den weißen Wal ein: "Death to Moby Dick! God
                   hunt us all, if we do not hunt Moby Dick to his death!" Starbuck, der erste
                   Offizier auf der Pequod, hält diese fanatische Feindschaft gegen ein
                   unbeseeltes Lebewesen, "a dumb thing", für Wahnsinn oder Blasphemie,
                   doch sein Kapitän sieht in Moby Dick mehr als ein Tier, nämlich einen
                   Agenten oder sogar den Meister des unergründlich Bösen.
                   Es ist eine Feindschaft, die dem totalen Kriegsbegriff einer Seemacht
                   vollkommen entspricht. Moby Dick ist der "fiend", der Feind, der sich nach
                   seinem Bein noch den Rest von Ahabs Körper holen wird, wenn er nicht zuvor
                   seinerseits angeeignet wird. Seine Beinprothese lässt der Kapitän aus
                   Walfischbein fertigen. Der Leviathan ist bereits für Hobbes kein dummes Tier,
                   sondern "ein Kunstwerk oder ein künstlicher Mensch", und er fährt fort: "Bei
                   dem Leviathan ist derjenige, welcher die höchste Gewalt besitzt, gleichsam
                   die Seele, welche den ganzen Körper belebt und in Bewegung setzt." Er ist
                   ein beseeltes Ungeheuer, Captain Ahab weiß das und kann daher mit Recht
                   der Macht "behing the mask" Feindschaft bis in den Tod ansagen. "Who's
                   over me?", ruft Ahab aus, eine Frage, die Starbuck erröten und erblassen
                   lässt, weil er sie für eine Herausforderung Gottes hält. Tatsächlich fordert
                   Ahab aber einen "sterblichen Gott" heraus, der tötet, wenn er nicht besiegt
                   wird. Doch wenn er erlegt ist, so Melville, salbt das Walöl den neuen König.
                   Der Krieg mit Moby Dick mag für die Mannschaft nicht mehr als ein riskantes
                   Unternehmen sein, bei der einige hundert Fässer Walöl auf dem Spiel stehen,
                   ihr Kapitän dagegen kämpft mit höherem Einsatz, er setzt das ganze Schiff
                   aufs Spiel, ohne noch - und dies kennzeichnet den "totalen" Krieg einer
                   Seemacht - zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden.
                   In dem beständig zitierten Buch Hiob (41, 25f) heißt es: "Auf Erden ist nicht
                   seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht. Er sieht allem ins Auge, was
                   hoch ist, er ist König über alle stolzen Tiere." Im Diesseits, auf Erden, ist der
                   Leviathan die höchste Macht, und doch ist er, so Hobbes, "wie alles Irdische
                   dem Tode und der Vergänglichkeit unterworfen". Wenn der "white fiend"
                   sterblich ist, dann lohnt es sich zu versuchen, ihn zu töten, obschon die Bibel
                   eindringlich warnt: "Kannst du den Leviathan fangen mit der Angel und seine
                   Zunge mit einer Fangschnur fassen? Kannst du mit Spießen spicken seine
                   Haut und mit Fischerhaken seinen Kopf? Lege deine Hand an ihn! An den
                   Kampf wirst du denken und es nicht wieder tun! Niemand ist so kühn, dass er
                   ihn zu reizen wagt" (Hiob 41, 1ff) Ahab aber hat schon Hand an ihn gelegt, ein
                   Bein dabei verloren, denkt immer, selbst im Schlaf an diesen Kampf - und
                   führt ihn doch weiter, weil er auf Erden niemanden über sich duldet. Als
                   politisches Symbol entspräche ihm eine souveräne Macht, er wäre Oberherr
                   eines Commonwealth. Zu einer Zeit, in der die USA beginnen, im Schutz der
                   Monroe-Doktrin zu einer pazifischen Weltmacht zu werden - Melville erwähnt
                   die Öffnung des "inpenetrable Japan" durch amerikanische Schiffe, für die sich
                   Nippon hundert Jahre später revanchieren wird -, tritt die Pequod an zum
                   Kampf um die höchste Macht der Welt.
                   Für seinen Krieg schmiedet sich Ahab eine Harpune, deren glühende Klinge
                   mit dem Blut seiner heidnischen Harpuniere gelöscht wird. "Ego non baptizo
                   te in nomine patris, sed in nomine diaboli", tauft Ahab seine Waffe, deren
                   Herstellung alle Mythen heraufbeschwört, die Schmitts Hobbes-Studie nennt.
                   Hier wird ein großer, metaphysischer Kampf mit allen Mitteln aufgenommen,
                   der nur mit dem Tod enden kann. Im Auge eines Typhoons erläutert Ahab
                   seiner verängstigten Crew: "All your oath to hunt the White Whale are as
                   binding as mine; and heart, soul, and body, lungs and life." Helle Flammen
                   laufen an seiner Harpune herab, und seine Matrosen erzittern vor ihm "in a
                   terror".
                   "Schrecken (terror)", ist aber genau das Instrument, mit dem, wie Carl
                   Schmitt 1938 betont, der sterbliche Gott "alle zum Frieden zwingt" und das
                   heißt bei Hobbes: zum "Gehorsam". Seine Machtfülle verdankt er bei Hobbes
                   nicht sich selbst, sondern einer "auf einem Vertrage beruhenden"
                   Übertragung: "jeder muss alle seine Macht oder Kraft einem Menschen
                   übertragen, wodurch der Willen aller gleichsam auf einen Punkt vereinigt
                   wird... So entsteht der große Leviathan". Den Vertrag haben alle an Bord der
                   Pequod freiwillig miteinander geschlossen, und nun jagen sie den Wal, als
                   wären sie ein einziger Mann. "They were one man, not thirty... All the
                   individuals, all varieties were welded into oneness, and were all directed to
                   that fatal goal which Ahab their one lord and keel did point to." So sind also,
                   um es mit Hobbes zu formulieren, "alle einzelnen eine Person" geworden, die
                   Leviathan heißen mag, beseelt und geführt von einem "Oberherrn". Er
                   "entscheidet über Krieg und Frieden", sein Wille ist Gesetz, er fordert
                   "unbedingten Gehorsam". Der "Lord" an Bord heißt Captain Ahab, ihm folgen,
                   wie Melville nicht zufällig altenglisch schreibt, seine "Knights and Squires"
                   und "Men". Und er herrscht "in terrorem", sein Wille "became incarnate in an
                   irresistible dictatorship".
                   Zur Pflicht des Oberherrn gehört allerdings, das "Wohl des Volkes" nach
                   "Möglichkeit zu fördern". Das kostbare Walöl muss auch in die Fässer der
                   Pequod fließen, sonst könnte sich die Besatzung nach dem "Glück ihrer
                   Nachbarn" sehnen und den unprofitablen Vertrag aufkündigen, um einen
                   anderen einzugehen. Die Pequod begegnet manch vollbeladenem Schiff, und
                   Melville, dessen Texte ohnehin besessen vom Thema Befehlsverweigerung
                   und Meuterei sind, schildert einmal mehr lehrbuchmäßig Ursachen und
                   Folgen einer Rebellion (Kap. 54). Ahab kümmert sich daher nicht allein um
                   den "Gehorsam", sondern auch das weltliche "Glück" seiner Besatzung und
                   lässt sich folglich keinen Wal entgehen, um den "common wealth" der Anteile
                   seiner Crew am Fang und den Profit der Eigner des Schiffes zu steigern.
                   Selbst Starbuck, der am glücklichen Ausgang der Fahrt zweifelt, weil sie Gott
                   herausfordere, kann sich daher keinen "lawful way" vorstellen, die fatale Jagd
                   zu beenden. Es ist ihm unmöglich, Ahab zu töten oder ihn auch nur als
                   Gefangenen nach Hause zu führen. Hobbes hat jedem Menschen ein
                   moralisches "forum internum" zugestanden, aber ausdrücklich vor der
                   verheerenden, aufrührerischen Lehre gewarnt, jeder Bürger könne auch nach
                   seinem eigenen "Gewissen" entscheiden, was gut und böse ist, denn dann
                   würde "bei der Mannigfaltigkeit des Gewissens und der Meinungen" niemand
                   mehr "dem Oberherrn weiter gehorchen, als er selbst für gut befindet", was
                   letztlich zum Bürgerkrieg führen würde. Starbuck hört sein Gewissen, doch er
                   zwingt es zum Schweigen und gehorcht als Offizier. Sein Verhältnis zum
                   "Oberherrn" lautet dann wieder paradigmatisch: "Flat obedience to thy own
                   flat commands". Auch hier zitiert Melville wieder Hobbes, der als die "die
                   größte Wohltat der Sprache" lobte, "dass wir befehlen und Befehle verstehen
                   können".
                   Der amerikanische Admiral Mahan hat am Ende des 19. Jahrhunderts die
                   These vertreten, dass die USA die britische Seeherrschaft übernehmen und
                   verewigen würden. Damit wurde ein Anspruch auf Weltherrschaft gestellt,
                   denn wer die Meere beherrscht, das wusste schon Sir Walter Raleigh, der
                   Entdecker und (See-)Räuber spanischer Silberflotten, beherrscht den Handel
                   der Welt, und wer dem Welthandel gebietet, gebietet der Welt. Die Herrschaft
                   einer Landmacht dagegen ist beschränkt auf ihr Staatsgebiet. Spanien war
                   lange Zeit als führende Kontinentalmacht unbesiegbar zu Lande, aber immer
                   wieder Opfer zur See.
                   In Hobbes' Geburtsjahr, 1588, schlägt ein Seeräuber die Armada. Weil es
                   nicht maritim zu denken verstand, so lautet Melvilles These, sondern seine
                   Silberflotten auf Seestraßen von den Kolonien nach Hause sandte, musste
                   Spanien alle überseeischen Besitztümer verlieren. Um es mit den Moby
                   Dick-Lesern Deleuze und Guattari zu formulieren: Der Versuch der
                   Landmacht, das Meer zu territorialisieren, ist gescheitert. Der "commerce" im
                   Gefolge des "whaleman, who first broke through the jealous policy of the
                   Spanish crown", machte dem Versuch ein Ende, "the long line" der
                   südamerikanischen Küste gegen außerspanische Mächte abzuschließen. Die
                   Grenze und damit eines der Grundprinzipien der Landmacht: das
                   Staatsgebiet, wurden verletzt und die Kolonien deterritorialisiert.
                   Melville zitiert mit Napoleon und Nelson exemplarische Vertreter dieses
                   Gegensatzes von Land und Meer. Mit dieser Unterscheidung von "Land und
                   Meer" hat sich Melvilles politische Theorie von den Vorgaben Hobbes' gelöst.
                   Schmitt freilich wird in seinem gleichnamigen Buch Land- und Seemächte,
                   den gekerbten Raum des Territoriums und den glatten Raum der
                   Seeschäumer, den gehegten Landkrieg und den totalen See- und
                   Blockadekrieg unterscheiden. Auch hier wird Moby Dick nicht zitiert, der alle
                   diese Unterscheidungen aus der Perspektive einer maritimen Macht bereits
                   anbietet. Dass Captain Ahab ausgerechnet an einem Strick aus Hanf stirbt
                   wie ein gehängter Verbrecher, spricht für den totalen Kriegsbegriff, den sein
                   Roman ausschreibt: Der politische Feind wird nicht als ehrenvoller Gegner
                   behandelt, sondern wie ein Verbrecher, für den das Standrecht schon des
                   Rechts zuviel ist. Ahab stirbt, den Strick um den Hals, "voiceless" - ein
                   Symbol jener "kurzen Prozesse", die im 20. Jahrhundert in Mode kommen
                   werden.
                   Melvilles politische Frage ist auch heute die unsere: wird es ein
                   internationales Regime geben, das die Wogen der "lawless seas" zu glätten
                   und "round the world" für Recht und Gesetz, Sicherheit und Ordnung zu
                   sorgen vermag? Oder wird es nach wie vor "Fast-Fish" und "Loose-Fish"
                   geben auf einer Welt, in der die Leviathane sich im ewigen Krieg gegenseitig
                   belauern, um bei günstiger Gelegenheit zuzuschlagen?

                   [ document info ]
                   Copyright © Frankfurter Rundschau 2001
                   Dokument erstellt am 21.09.2001 um 21:58:24 Uhr
                   Erscheinungsdatum 22.09.2001

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